02.05.2019

Die Säule Teil 1

Zwei Bauarbeiter haben die Aufgabe, eine Säule zu verkleiden. Diese Säule, an der sie gemeinsam arbeiten, ist so groß, dass die beiden sich nicht sehen können. Und außerdem ist sie besonders: Sie ist nämlich auf der einen Seite eckig und auf der anderen Seite rund. Es lebe die Kreativität der Architekten! Davon wissen die beiden aber zunächst nichts …

Die Säule Teil 1

Und so geht es weiter

Nun treffen sie sich im Lager, wo sie die erforderlichen Bauteile holen wollen. Der eine die eckigen und der andere die runden Teile. Was meinen Sie wird passieren, wenn die beiden sehen, was der jeweils andere holt? Dramatisieren wir die Situation noch ein wenig. Als der »Eckige« heute früh das Haus verlassen hat, wurde er mit folgenden Worten verabschiedet: „Denk bitte daran, dass wir heute Nachmittag Kindergeburtstag haben. Ab 15:00 Uhr ist die Hütte voller 6-Jähriger. Lass mich bitte nicht hängen und komm pünktlich nach Hause.“ Ohne die Details vertiefen zu wollen, können wir uns vorstellen, dass der »Eckige« nun versuchen wird, den »Runden« davon zu überzeugen, dass er die falschen Teile holt. Denn schließlich ist die Säule ja eckig. Und der »Runde« wird vehement kontern, dass das einzig Eckige ja wohl der Knick in der Optik des Kollegen sei. Und so weiter, und so weiter …

Für uns Außenstehende, die die Säule in der Gesamtheit sehen, ist die Lösung natürlich einfach. Aber warum geraten die beiden dann so heftig in Streit? Wegen fehlender Weite!

What you see is all there is …

Daniel Kahneman schreibt in seinem Buch »Schnelles Denken, langsames Denken« über das Phänomen WYSIATI (What you see is all there is). Darin beschreibt er, dass wir Menschen meinen, der Teil der Welt, den wir sehen und kennen, wäre die ganze Welt. Es fällt uns schwer zu glauben, dass es etwas geben könnte, was unserer bisherigen Erfahrung völlig widerspricht. In 30 Jahren Berufserfahrung haben beide Arbeiter gelernt: Eine Säule ist entweder eckig oder rund. Basta! Auf die Idee, dass es etwas anderes geben könnte, kommen sie gar nicht. Dies ist eine ausgesprochen enge, wenn auch weit verbreitete Erscheinung.

Es kann nur einen geben!

Hinzu kommt ein Phänomen, das Gunther Schmidt (Milton-Erickson-Institut Heidelberg) als Highlander-Syndrom bezeichnet. „Es kann nur einen geben“, ist das Motto des bekannten Films aus den Achtzigerjahren. Es kann also scheinbar nur eine Wahrheit geben. „Und wenn deine Wahrheit richtig wäre, wäre meine ja falsch. Und das kann nicht sein, denn das habe ich mit all meinen Sinnen erfahren. Ich habe die Säule nicht nur angeschaut, sondern auch angefasst. Und sie ist eckig“, verteidigt der eine Bauarbeiter seinen Standpunkt. Ein ausgesprochen enges Bild der Welt.

Wenn ich meine Teilnehmer in Seminaren frage, was die Lösung ist, sagen sie: „Ganz einfach, die beiden müssen um die Säule herumgehen.“ Und wer geht zuerst? Natürlich immer der andere. Denn die allgemeine Denkweise lautet: „Ich habe ja recht. Und deshalb muss der andere ja auf meine Seite kommen.“ Und so denken beide. Also geht keiner. Stattdessen diskutieren sie weiter und bombardieren sich mit Argumenten.

Was denken Sie ist der richtige Weg? Und welche Erkenntnisse können wir aus der Theorie schöpfen? Die Antwort erfahren Sie in meinem nächsten Blog. 
 

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