09.05.2019

Die Säule Teil 2

Erinnern Sie sich noch an unsere beiden Bauarbeiter, die gemeinsam an einer Säule arbeiten? Die Säule zeichnet sich vor allem durch ein Merkmal aus: Sie ist auf der einen Seite rund und auf der anderen Seite eckig. Solange den beiden die Weite fehlt und sie nur jeweils aus der eigenen Perspektive arbeiten, kommt es immer wieder zu Missverständnissen. Dieses Phänomen lässt sich auch in die Arbeitswelt übertragen und ist gut mit den Theorien von Daniel Kahneman (WYSIATI) und Gunther Schmidt (Highlander-Syndrom) zu erklären. Lesen Sie hier, wie Sie solch verzwickte Situationen lösen können.

Die Säule Teil 2

Machen Sie den ersten Schritt

Die Lösung beginnt damit, dass ICH den ersten Schritt mache und auf die Seite des anderen wechsle. Anstatt ein Bombardement an Argumenten auf meinen Gesprächspartner abzuwerfen, stelle ich Fragen und versuche zu verstehen, wie seine Welt aussieht. Es gilt der Satz: „Verstehen kommt vor verstanden werden!“ Und wenn mein Partner sich von mir verstanden fühlt, wird er deutlich leichter bereit sein, auch mich und meine Wahrheit zu verstehen.

Lernen Sie zu verstehen

Um diesen ersten Schritt auf meinen Partner zu zugehen, brauche ich aber eine Alternative zum Highlander-Syndrom. Diese Alternative nenne ich die Sowohl-als-auch-Haltung. Ich kann mir vorstellen, dass sowohl seine Wahrheit als auch meine Wahrheit gleichzeitig richtig sind. Jetzt entsteht Weite.

Uns fällt es deswegen oft schwer, andere wirklich verstehen zu wollen, weil wir meinen, dann auch deren Meinung übernehmen zu müssen. Auch das ist wieder ein Zeichen von Enge. Denn das sind zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe. Denken Sie nur mal an ein/Ihr Kind, das auf der anderen Straßenseite seine Freunde entdeckt und spontan über die Straße laufen will, obwohl die Ampel gerade Rot zeigt. Wie reagieren wir als Eltern? Natürlich verstehen wir den Wunsch unseres Kindes. Und gleichzeitig gibt es keine Ausnahme. Es wird gewartet, bis die Ampel Grün zeigt. Das Leben und die Gesundheit sind deutlich wichtiger als die Lust auf die Freunde. Der zweite Leitsatz lautet also: „Verstehen ist ungleich einverstanden sein.“ Wenn wir uns gegenseitig verstehen, haben wir viele Möglichkeiten, daraus Entscheidungen abzuleiten. Erneut tut sich Weite auf.

Kommunizieren Sie richtig

Im Allgemeinen Sprachgebrauch steht das Wörtchen »aber« für das Highlander-Syndrom. Mit »aber« löschen wir alles aus, was davor steht. »Aber« schafft Enge. Die Sowohl-als-auch-Haltung hingegen wird durch das Wörtchen »und« gekennzeichnet. »Und« lässt beide Seiten gleichberechtigt stehen. »Und« ermöglicht Weite. Ebenfalls dazu gehören Fragen. Vor allem mit offenen – also W-Fragen – versuche ich zu verstehen, was in meinem Partner vorgeht.

Probieren Sie diese beiden einfachen Kommunikationsinstrumente in der nächsten Zeit einmal aus. Stellen Sie besonders dann offene Fragen, wenn Sie sich selbst nicht verstanden fühlen und ersetzen Sie das Wörtchen »aber« regelmäßig durch ein »und«. Meine These ist, dass wir mindestens 80% unserer »aber« durch »und« ersetzen können. Beobachten Sie, was durch diese kleine Veränderung passiert. Welche Reaktionen erhalten Sie von Ihren Gesprächspartnern? Und wie wirkt sich das auf die Atmosphäre Ihrer Gespräche aus? Werden Sie im Gespräch enger oder weiter?

Bleiben Sie aufmerksam

Ob wir dann eine gemeinsame Lösung erarbeiten oder ich mich immer noch mit meiner Meinung durchsetzen möchte, steht dann auf einem anderen Blatt und ist ein Thema für einen weiteren Blog. Übrigens: Das Phänomen WYSIATI gilt nicht nur für unsere beiden Bauarbeiter. Menschen aller Schichten, aller Bildungsstufen, aller Nationalitäten und jeden Geschlechts kennen es. Wir alle sind nicht frei davon. Auch wir Trainer und Coaches nicht. Wir können nur immer wieder aufmerksam sein und uns wohlwollend kritisch hinterfragen und weiterentwickeln.

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