23.03.2020

Impressionen aus dem Homeoffice

Corona wütet in Deutschland und auf der ganzen Welt. Mehr als Grund genug, meine Pläne für meine Blog-Beiträge erst einmal komplett ad acta zu legen. Irgendwie sträubt sich alles in mir dagegen, mit „business as usual“ weiter zu machen.

Impressionen aus dem Homeoffice

Aber was stattdessen tun? Über die Krankheit an sich kann ich nicht viel schreiben. Ich bin schließlich Pädagoge und kein Mediziner. Und Ratgeber darüber, was Mitarbeitende, Führungskräfte, Selbstständige und Unternehmer jetzt machen sollen, gibt es mittlerweile (in meiner Wahrnehmung) auch wie Sand am Meer.
Ich möchte hier über meine Kunden und Menschen, die mir Nahe stehen schreiben. Ich möchte beschreiben, wie sie mit dem Virus und der besonderen Situation umgehen. Beispiele aufzeigen, wie Unternehmen sich organisieren und Menschen im realen Homeoffice klarkommen.

Dabei geht es nicht darum aufzuzeigen, was richtig und was falsch ist. Und auch nicht um Vollständigkeit. Es geht mir vielmehr darum, anzuregen und die Zuversicht und positive Stimmung, die ich auch in diesen Tagen erlebe, weiterzugeben.

Zwei Welten auf 55 Quadratmetern
Beginnen wir mit Leonie und Stefan (Namen sind aus Datenschutzgründen geändert), die als junges Paar zusammenleben. Stefan handelt mit Strom und Leonie arbeitet in einer Medienagentur. Normalerweise sehen sie sich kaum, da Leonie viel auswärts bei ihrem Kunden arbeitet und Stefan auch Nachtschichten fährt. Das hat sich sehr geändert. Beide arbeiten jetzt im Homeoffice in einer 55qm großen Wohnung. Sie hängen sich also permanent „auf der Pelle“. Und dabei erleben sie völlig unterschiedliche Homeoffice-Welten.

Eigentlich ist alles wie immer
Bei Stefan läuft die Arbeit fast völlig normal weiter. Auch vor Corona hat er schon regelmäßig im Homeoffice gearbeitet. Das Unternehmen ist auf diese Form der Arbeit eingestellt. Die technischen Voraussetzungen sind vorhanden und erprobt. Einzig einen großen Bildschirm hat er sich noch zugelegt, um die Körperhaltung und die Augen zu entlasten. Für die Zusammenarbeit gibt es klare Strukturen. Das Team trifft sich zweimal täglich in Microsoft Teams. Die Aufgaben des Tages werden abgesprochen und jeder weiß, was er selbst und seine KollegInnen zu tun haben. Die eigentliche Arbeit läuft dann individuell und wo erforderlich wird ganz klassisch telefoniert oder eine Team-Kommunikation durchgeführt.

Führungsversäumnisse werden deutlich
Ganz anders die Situation bei Leonie. Auch hier sind die technischen Voraussetzungen gegeben. Auch hier ist Homeoffice nichts Neues. Allerdings sind die Strukturen alles andere als klar. Tägliche Online-Meetings sind nicht immer verbindlich. Wer einen Termin für unnötig hält, bleibt draußen. Nur die wöchentlichen Zusammenkünfte sind Pflicht. Dazwischen bilden sich Koalitionen derer, die eine straffere Organisation für erforderlich halten, gegen die, die „irgendwie ihr Ding machen“. Eine klare Führungsstruktur ist nicht erkennbar, da Leonies direkter Vorgesetzter sich im Urlaub befindet und der nächsthöhere Vorgesetzte sich eigentlich „mit seinen eigenen Themen“ beschäftigen will. Die glorreiche Idee, eine kommissarische Führungskraft dazwischen zu setzen führt dazu, dass diese die neuen Ressourcen für ihre eigenen Themen und Ziele einsetzt. Hinzu kommt, dass der Kunde im Zuge der Corona-Krise Ideen entwickeln will, wie darauf zu reagieren ist. Dadurch kommen nahezu täglich neue Impulse, die bearbeitet werden wollen. Hier wird sehr deutlich, wie wichtig eine sauber strukturierte Führung mit klaren Prioritäten und Verantwortlichkeiten auch (oder vielleicht im Besonderen) bei einer dezentralen Arbeitsorganisation ist.


Auch Online-Lernen will gelernt sein
Ein weiteres - leider nicht besonders gut gelaufenes - Beispiel aus dieser Woche ist ein Seminar, das statt, wie geplant als Präsenztraining, nun als Online-Veranstaltung durchgeführt wurde. So rühmlich die Absicht ist, derartige Maßnahmen nun online durchzuführen, so sehr sollte man sich darüber im Klaren sein, dass das nicht mit einer 1:1-Umsetzung geht. Ich kann Teilnehmende nicht 8 Stunden mit einer Powerpoint-Folie nach der anderen bei der Stange halten. Das geht schon in Präsenzveranstaltungen nicht. Online ist es eine Katastrophe. Auch online müssen die Möglichkeiten der Technik genutzt werden, um die Teilnehmenden aktiv einzubinden. Denn natürlich gilt auch weiterhin, dass wir am besten das lernen, was wir uns selbst erarbeiten und zu dem wir einen emotionalen Bezug haben.


Und es geht doch
Und damit komme ich auch schon wieder zu den positiven Aspekten der aktuellen Situation. Seit Jahren wird bei uns über Homeoffice diskutiert. Und plötzlich funktioniert es. Und das flächendeckend. Alle Widerstände gegen diese Arbeitsform scheinen hinweggefegt. Oder sie treten zumindest einmal in den Hintergrund. Das große Ganze zählt. Und das zeigt mir auch, dass die Menschen in unserem Land ihre persönlichen Befindlichkeiten hinter das Gemeinwohl zurückstellen können. Ja, ich sehe auch, dass es einige gibt, bei denen dieser Prozess des Verstehens länger dauert. Aber die Entwicklung geht eindeutig mit großen Schritten in die richtige Richtung. Auch dank eines immer konsequenteren Durchgreifens der Behörden.

Und auch operativ tut sich etwas. Einer meiner Kunden sagte mir, dass er sehr erstaunt über die gestiegene Produktivität von Meetings ist. In diesem Unternehmen findet praktisch alles nur noch online statt. Und die Leute verhalten sich deutlich disziplinierter als bei den guten alten Offline-Meetings. Weniger Dazwischenreden. Besseres Zuhören. Weniger Wiederholungen. Klarere Ergebnisse. Und deutlich pünktlicheres Ende der Veranstaltungen.


Nicht jeder ist gewappnet
Leider sind nicht alle Unternehmen auf Homeoffice und die virtuelle Zusammenarbeit eingerichtet. Ein Unternehmen in meinem Umfeld wollte sogar in der kommenden Woche noch einmal ein Teammeeting der klassischen Art stattfinden lassen, weil es in dem Unternehmen einfach keine technischen und organisatorischen Möglichkeiten gibt, ein Online-Meeting stattfinden zu lassen.

Dank einer kreativen und konsequenten Führungskraft findet nun aber in der kommenden Woche das erste Online-Meeting in dieser Organisation statt. Hoffen wir, dass dieses Beispiel schnell Schule macht.


Suum cuique… oder, jeder organisiert sich auf seine Weise
Apropos Kunden. Ich bin auch sehr angetan von dem Einfallsreichtum der Unternehmen, wie sie die Ansteckungsgefahr durch organisatorische Maßnahmen reduzieren. In dem bereits genannten Unternehmen mit den disziplinierten Online-Meetings arbeiten die Menschen in der Administration in 3 Schichten. Eine Schicht ist im Homeoffice und die anderen beiden Schichten sind vor Ort. Dabei sind die Mitarbeiter einer Abteilung auf zwei verschiedene Gebäude verteilt. So arbeiten alle parallel, und die Ansteckungsgefahr ist trotzdem minimiert. Das funktioniert hier unter anderem deshalb sehr gut, weil das Unternehmen über gute räumliche Ressourcen verfügt.

Ein anderer Kunde arbeitet zweischichtig. Eine Schicht arbeitet vormittags von 09:00 bis 13:00 Uhr im Büro und am Nachmittag von 14:00 bis 18:00 Uhr im Homeoffice. Die zweite Schicht macht es genau anders herum. Durch die Pause von 13:00 bis 14:00 Uhr ist sichergestellt, dass sich die Schichten nicht persönlich begegnen und somit nicht infizieren können. Statt einer klassischen Essenausgabe in den Kantinen werden Lunchpakete ausgegeben, die die Mitarbeiter dann zuhause oder am Arbeitsplatz isoliert verzehren können.

Dies sind nur zwei Beispiele, wie Unternehmen mit der Situation umgehen. Auch in der kommenden Woche werde ich wieder mit offenen Augen und Ohren und freier Datenleitung zuhause sitzen, um Impressionen aus der Welt der Homeoffice-Organisation zu sammeln und an Sie weiterzugeben
Bis dahin wünsche ich Ihnen vor allem, dass Sie, Ihre Lieben und die Menschen, für die Sie verantwortlich sind, gesund bleiben.

DANKE

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