31.03.2020

Weitere Impressionen aus dem Homeoffice

Die zweite Woche des allgemeinen Homeoffice ist vorüber. Es war gleichzeitig die erste Woche mit den verschärften Kontaktverboten. Es wird also alles noch ein bisschen enger. Wort der Woche war wohl „social distancing“.

Weitere Impressionen aus dem Homeoffice

Ich nenne es eher „physical distancing“. Denn nach meinem Gefühl ist der soziale Abstand keineswegs geringer geworden. Selten habe ich Zeiten erlebt, in denen ich aufmerksamer und intensiver mit meinem unmittelbaren Umfeld in Kontakt gewesen bin.  Selten habe ich an so vielen Netzwerktreffen teilgenommen. Selten habe ich mir die Zeit genommen, so oft und so lange mit meinen Lieben zu sprechen. Selten habe ich so schnell und zielsicher auch mit unvertrauten Menschen ein Thema getroffen, über das wir miteinander reden wollen.

Das Anhalten des Hamsterrrades hat also durchaus seine positiven Seiten.

Sogar ein gemeinsames Osterfrühstück mit der Familie ist in Planung. Mit dem Laptop auf dem Frühstückstisch, auf dem die Familienmitglieder versammelt sind. Ich bin schon jetzt gespannt auf diese neue Erfahrung.

Dass so etwas grundsätzlich möglich ist, hat einer meiner Kunden bewiesen, eine Marketingagentur. Der Chef hat an einem Tag für alle MitarbeiterInnen Pizza ins Homeoffice bestellt um sich dann zum gemeinsamen Essen virtuell zu treffen. Ich finde das eine prima Idee, die zeigt, wie socialising auch in Zeiten von Corona funktionieren kann.

Kreative Geschäftsideen
Überhaupt bin ich erstaunt und erfreut darüber, wie kreativ viele Unternehmen auf die Krise reagieren und ihre Geschäftsmodelle anpassen. So hatte ich z.B. vorgehabt, die vergangene Woche auf Mallorca in einem Triathlon-Trainingscamp zu verbringen. Das wurde wegen Corona abgesagt. Mein Veranstalter gehört zu den kleineren in der Branche und verfügt nur über begrenzte finanzielle Reserven. Eine Rückforderung der ganzen Campgebühren von allen Teilnehmern wäre sein Ruin. Daher bietet er jetzt ein virtuelles Trainingslager an. In einer geschlossenen Facebook-Gruppe werden wir uns treffen und dann gibt es gemeinsame Trainings auf der Fahrradrolle oder mit Übungen für die Athletik oder Zugseilübungen für das Schwimmtraining. Und er hat sogar noch über weitere Alternativen, wie Triathlon-Coaching nachgedacht. Ich weiß noch nicht, wie das genau ablaufen wird, aber allein die Idee finde ich prima. Meines Erachtens kommt es dabei auch nicht darauf an, dass die erbrachte Leistung in dem virtuellen Camp genau dem Preis entspricht. Vielmehr erkenne ich an, dass der Veranstalter sich Gedanken darüber gemacht hat, wie er in diesen schwierigen Zeiten trotzdem Nutzen für seine Kunden bieten kann. Er lässt mich nicht hängen und dann lasse ich ihn auch nicht hängen.

Das ist eine Tendenz, die mir in diesen Tagen an sehr vielen Stellen begegnet. Wir Dienstleister sind für ihre Kunden da. Wir sind ansprechbar. Und es geht nicht gleich mit jeder Anfrage oder Unterstützung der Gebührenzähler los. Wir signalisieren, dass wir GEMEINSAM durch die Krise gehen wollen.

Ich denke, nur so kann es in diesen Wochen funktionieren. Deshalb ist die Kontaktsperre für mich nur ein „physical distancing“.

Jedes Ding hat zwei Seiten
Wie so oft im Leben, gibt es natürlich auch hier eine Gegenbewegung. So zeigen es zumindest wieder die Erfahrungen von Leonie und Stefan. In der Organisation von Leonie scheint es eine große Verlockung zu geben, einfach „sein Ding“ zu machen. Im Homeoffice kann ich ja gut einsame Entscheidungen treffen und umsetzen. Oder ich kann mich der Diskussion einfach entziehen, indem ich Emails nicht beantworte. Sowohl das eine als auch das andere ist aber immer nur ein Gewinn an Entspannung auf kurze Zeit. Irgendwann muss ich mich stellen und dann ist es ein erheblicher Mehraufwand, emotionale Wogen zu glätten oder / und zweitbeste Entscheidungen zu korrigieren.

Erschwerend kommt hinzu, dass es ja bequem scheint, Konflikte über Email auszutragen. Bequem mag das auch sein - ich tue meine Meinung kund und lasse den anderen damit erst einmal allein. Und dann bestimme ich, wann es mir wieder genehm ist, mich mit diesem Konflikt zu befassen - aber es ist auch denkbar ungeeignet. Konflikte bedürfen einer viel feineren und vielschichtigeren Kommunikation als dies über Email möglich ist. Wieviele Konflikte sind schon eskaliert, weil Emails missverstanden wurden? Wie schnell ist ein Konflikt zumindest emotional entschärft, wenn wir dem anderen in die Augen schauen? Also, liebe Homeworker, streiten Sie sich auch im Zeitalter des Homeoffice lieber von Angesicht zu Angesicht. Zoom, Skype und MS Teams machen das nicht nur möglich, sondern geradezu einfach. Oft einfacher als im hektischen Büroalltag zu Präsenzzeiten.

Arbeit und Freizeit verschwimmen
Ein Weiteres Thema, das mir in dieser Woche begegnet ist, ist das immer stärkere Verschwimmen von Arbeit und Freizeit. Leonie hatte ihr Stundenkontingent an Arbeitszeit bereits am Mittwoch fast verbraucht. Es gab immer und ständig etwas zu tun. Und es gab praktisch keinen Feierabend. Jeder im Team hat seinen eigenen Rhythmus und irgendwie scheint es eine stille Erwartungshaltung zu sein, dass alle anderen sich diesem Rhythmus anzupassen haben. Die Frührhythmiker bombardieren ihre KollegInnen schon um 06:00 Uhr mit Emails. Und manche Spätrhythmiker laufen erst um 21:00 Uhr zu Hochform auf. Immer kommt irgendetwas rein und ist natürlich ganz wichtig und ganz dringend.

Struktur und Rhythmus
Interessanterweise hat Leonie viele Lösungsansätze im direkten Zugriff. Bei Stefan, der ja mit ihr gemeinsam im Homeoffice sitzt. Bei ihm stellt sich die Situation deutlich organisierter dar. Stefan hat festgelegte Arbeitszeiten, zu denen er vor dem Bildschirm sitzt und seinem Broterwerb nachgeht. Darüber hinaus gibt es zwei feste Meetings jeden Tag, in denen Überschneidungen abgestimmt werden. Diese Meetings finden zu „normalen“ Bürozeiten statt. Diese wenigen klaren Regeln führen dazu, dass Stefan entspannt arbeitet und bei ihm keine Überstunden auflaufen. Effizientes Arbeiten.

Über den Sinn einer klaren Tagesstruktur im Homeoffice kann man derzeit viel in den Medien lesen. Ich möchte hier noch auf einen Aspekt zum Thema Pausen aufmerksam machen, der aus meiner Sicht bislang unterrepräsentiert ist: Pausen zur Reflexion. Ich habe es mir zur Angewohnheit gemacht nach jedem längeren Arbeitsschritt oder (bei Kleinkram) nach 60 - 90 Minuten einen Blick auf meine Tagesplanung zu werfen. So behalte ich immer den Überblick und kann ggf. Prioritäten schnell verändern. Und in den Arbeitsphasen ist der Kopf frei. Ich muss an nichts denken, außer an den Vorgang, den ich gerade vor mir habe. Multitasking funktioniert nicht wirklich.

Walt-Disney-Strategie
Darüber hinaus empfehle ich die organisatorische Trennung der Zustände „Arbeit“ und „Freizeit“. Wenn die räumlichen Möglichkeiten vorhanden sind, sollten wir uns für das Internetsurfen, den Spielfilm oder den Familien-Call an einen anderen Platz begeben. Die Couch, der Sessel oder gar ein anderer Raum helfen beim Umschalten. Auch unterschiedliche Geräte kann man dazu nutzen. Arbeiten auf dem Laptop, Surfen auf dem iPad, streamen auf den Fernseher (für die Älteren unter uns, die noch einen Fernseher besitzen.. Oder ich bilde klare Zeitblöcke, in denen ich die Arbeit erledige oder Freizeitaktivitäten nachgehe.

Diese Methode verbinde ich mit Walt Disney, dem nachgesagt wird, dass er für die verschiedenen Rollen bei der Entwicklung eines Filmprojekts jeweils eigenen Büros hatte. Für den Träumer, den Macher und den Kritiker. So konnte er sich jeweils voll und ganz auf eine Rolle einlassen, ohne durch die anderen „Stimmen“ gestört zu werden. Das Zusammenspiel entstand dann durch das Wandern von einem Büro zum anderen, bis alle drei Rollen zufrieden waren.
Das waren wieder meine Impulse für unsere Homeoffice-Woche, die uns helfen sollen, den Überblick zu bewahren und das gute Gefühl zu erzeugen, echt was geschafft zu haben.

Ich bin schon gespannt, was die nächste Homeoffice-Woche bringt.

Bis dahin bleiben Sie gesund.

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